Rundfunkempfänger Telefunken Super «Zeesen» T 875 WK (©: Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin, Foto: Susan Dünewald).

Der Rundfunk als Waffe

Short Essay
by Matthias Küntzel

Warum bezeichnet Irans Revolutionsführer Ali Khamenei Israel als «bösartigen Krebstumor, der entfernt und vernichtet werden muss»? Warum tragen iranische Raketen die Aufschrift «Israel vom Antlitz der Erde entfernen»? Und warum hat der Iran im Rahmen der Vereinten Nationen als einziges Land gegen die Verurteilung der Holocaust-Leugnung gestimmt? Die nachfolgenden Zeilen beleuchten ein historisches Detail, das selten ins Blickfeld rückt: Die persisch-sprachige Rundfunkpropaganda, die die Nazis vom Sommer 1939 bis zum Frühjahr 1945 im Iran verbreiteten und zu deren Zuhörern ein Mann gehörte, der später als Ayatollah Khomeini berühmt wurde.

In Zeesen, einem unscheinbaren Dorf im Süden Berlins, stand einst der leistungsstärkste Kurzwellensender der Welt. Er schickte antisemitische Hassbotschaften im Goebbels-Stil auf Persisch, Arabisch, Türkisch und auf Hindi in die muslimische Welt. Zahlreiche zeitgenössische Berichte belegen, dass Radio Zeesen in jenen Jahren, in denen man das Radio vorzugsweise öffentlich, also in Basaren oder Kaffeehäusern hörte, beliebt war. «Selbst wenn wir [als Briten] auf Persisch sendeten», schrieb 1940 Reader Bullard, der britische Botschafter in Teheran, «könnten wir mit den deutschen Höreranteilen nicht konkurrieren, weil ihr eher gewalttätiger und beleidigender Stil mit übertriebenen Behauptungen (…) beim persischen Publikum gut ankommt» (Bullard 1991, 28).

Viele Zuhörer verehrten zudem die Nationalsozialisten als «Befreier», da Deutschland gegen die im Iran verhassten Briten und Russen Krieg führte. So erklärten iranische religiöse Würdenträger Adolf Hitler gar zu einem Nachkommen des Propheten Mohammeds, der bereits mit einer grünen Binde um den Leib auf die Welt gekommen sei und der später unter seinem Hemd stets ein Bild von Ali, dem von den Schiiten besonders verehrten Ersten Imam, getragen habe.

Deutsche Propaganda im Iran

Derartige Fantasien griff der deutsche Kurzwellensender in seinem persisch-sprachigen Programm gern auf. «Diejenige Propaganda verspricht den besten Erfolg, die an iranische religiöse Vorstellungen und Erwartungen anknüpft», betonte 1941 der Kulturreferent der deutschen Gesandtschaft in Teheran.1 Dem stimmte der deutsche Iran-Gesandte, Erwin Ettel, zu. Um den Judenhass zu schüren, heisst es in einem seiner Schreiben nach Berlin, müsse man Mohammeds Kampf gegen die Juden in Medina und Hitlers Kampf gegen die Juden in Deutschland analog setzen und den judenfeindlichen Versen aus dem Koran entsprechende Auszüge aus «Mein Kampf» gegenüberstellen (Küntzel 2009, 54–55).

Je weiter der Weltkrieg voranschritt, desto mehr gewann der Judenhass in den Sendungen aus Berlin an Gewicht. 1943 sprach Joseph Goebbels von einer «Verschärfung unserer antisemitischen Propaganda (…) Zum Teil füllt sie 70 bis 80 Prozent unserer gesamten Auslandssendungen aus» (Goebbels in Fröhlich 1993, 261).

Zu den regelmässigen Hörern dieser Propaganda gehörte Ruhollah Khomeini. Als dieser im Winter 1938 im Alter von 36 Jahren aus dem Irak in das iranische Qum zurückkehrte, hatte er einen von der britischen Firma Pye gebauten Radioempfänger dabei. «Dieses Radio erwies sich als eine gute Investition», berichtet sein Biograph Amir Taheri. «Viele Mullahs und Religionsschüler versammelten sich an den Abenden in seinem Haus, um sich – häufig von der Terrasse aus – die Sendungen von Radio Berlin [= Radio Zeesen] und von der BBC anzuhören.» (Taheri 1986, 99–100). Zwar ist Khomeini stets ein Gegner Hitlers und des Nationalsozialismus geblieben. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass die Radio-Agitation aus Berlin dazu beitrug, ihn zu einem Antisemiten zu machen (Grigat 2023).

Khomeinis Antisemitismus

So setzte Khomeini bereits seine erste Anti-Schah-Kampagne auf ein antijüdisches Gleis. 1963 beschuldigte er «die Juden und Ausländer, den Islam [zu] zerstören» und insinuierte, dass der verhasste Mohammed Reza Schah womöglich ein Jude sei (Khomeini in Thoß und Richter 1991, 95). Gleichzeitig griff er das Judentum im Nazistil an: «Die Juden haben die Welt mit beiden Händen gepackt und verschlingen sie mit einem unersättlichen Appetit», behauptete er 1977 (Khomeini 1995, 370).

Nach dem Sieg der islamischen Revolution von 1979 ordnete er die Hinrichtung des prominentesten iranischen Juden, des Selfmade-Millionärs Habib Elghanian an, um die iranisch-jüdische Gemeinde nachhaltig einzuschüchtern. Anschliessend mässigte er seinen Tonfall und versprach, iranische Juden, sofern sie einen untergeordneten Status akzeptierten und sich von Israel radikal distanzierten, zu verschonen. Gleichzeitig konzentrierten die neuen iranischen Machthaber ihren antijüdischen Hass auf Israel. Sie begannen den Begriff «Zionist» so zu verwenden, wie Hitler das Wort «Judas» benutzte: als Chiffre für den Urgrund alles Bösen in der Welt. «Von Anfang an», erklärte Khomeini 1981, «war eines unserer wichtigsten Ziele die Vernichtung Israels» (Khomeini 1996, 258).

Neue Hoffnung?

Der Revolutionsführer starb 1989. Sein Nachfolger, Ali Khamenei, versprach, dass Israel spätestens 2040 nicht mehr existiert. Eine grosse Countdown-Uhr in Teheran zeigt die Anzahl der Tage, die bis zum angekündigten Ende Israels verbleiben. Dann aber wurde das Regime vom «Frau-Leben-Freiheit»-Aufstand überrascht. Dieser setzte im September 2022 eine zweite, imaginäre Countdown-Uhr in Gang: Hier geht es um die Anzahl der Tage, die dem angezählten Regime noch bleiben.

Was Revolutionsführer Khamenei als «bösartigen Krebstumor» beschimpft, «der entfernt und vernichtet werden muss» ist genau das, was die massenhafte «Frau-Leben-Freiheit»-Erhebung beflügelt: der Wunsch, endlich selbstbestimmt zu leben. «Ich bin vollständig davon überzeugt», erklärte kürzlich Professor Sadegh Zibakalam von der Teheran Universität, dass nicht einmal zehn Prozent [der iranischen Bevölkerung] Israels Auslöschung will» (Weinthal 2023). Sollte es also mit dem antisemitischen Spuk, den die Nazis über Radio Zeesen vor 80 Jahren in den Iran exportierten und dessen Echo noch Jahrzehnte später vernehmbar gewesen ist, ein Ende haben? Es wäre den Juden und Nichtjuden im Iran und anderswo zu wünschen.

  • 1. Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Deutsche Gesandtschaft Teheran an das Auswärtige Amt Berlin, 2. Februar 1941, R 60690, Orient. Juden um Roosevelt, S. 2.

List of References

Bullard, Reader. 1991. Letters from Teheran: A British Ambassador in World War II Persia. London: I.B. Tauris.
Fröhlich, Elke, ed. 1993. Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil II. Band 8: April – Juni 1943. München: K. G. Saur.
Grigat, Stephan. 2023. «Der Antisemitismus des iranischen Regimes». Bundeszentrale für Politische Bildung . April 6. Accessed April 13. (https://www.bpb.de/themen/antisemitismus/dossier-antisemitismus/519837/der-antisemitismus-des-iranischen-regimes/).
Khomeini, Ruhollah. 1995. Kauthar: An Anthology of the Speeches of Imam Khomeini (s.a.) Including an Account of the Events of the Revolution, 1962–1978. Band 1. Teheran: Institute for the Compilation and Publication of the Works of Imam Khameini.
Khomeini, Ruhollah. 1996. Das Palästina-Problem aus Sicht Imam Khomeinis. Teheran: Institution zur Koordination und Publikation der Werke Imam Khomeinis.
Küntzel, Matthias. 2009. Die Deutschen und der Iran. Geschichte und Gegenwart einer verhängnisvollen Freundschaft. Berlin: wjs.
Taheri, Amir. 1986. The Spirit of Allah: Khomeini and the Islamic Revolution. Bethesda: Adler & Adler.
Thoß, Gabriele, and Franz-Helmut Richter. 1991. Ayatollah Khomeini. Zur Biographie und Hagiographie eines islamischen Revolutionsführers. Münster: Wurf.
Weinthal, Benjamin. 2023. «Most Iranians Don’t Want Israel to Be Annihilated – Tehran Prof.». The Jeruslaem Post, April 2.

Dieser Text ist Teil des Norient Specials «Klangteppich: Voices from the Iranian diaspora and beyond», erstmals veröffentlicht im gedruckten Magazin zur 5. Ausgabe von «Klangteppich. Festival für Musik der iranischen Diaspora». Das Special wurde kuratiert und editiert von Franziska Buhre. Klangteppich V (2023) wird unterstützt vom Hauptstadtkulturfonds Berlin.

Biography

Matthias Küntzel ist Politikwissenschaftler und Historiker. 2009 veröffentlichte er Die Deutschen und der Iran. Geschichte und Gegenwart einer verhängnisvollen Freundschaft und 2019 die Studie Nazis und der Nahe Osten. Wie der islamische Antisemitismus entstand. 2022 verlieh ihm die Deutsch-Israelische Gesellschaft (AG Hannover) den Theodor-Lessing-Preis für aufklärerisches Denken und Handeln.

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Published on July 13, 2023

Last updated on September 18, 2023

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